Es
war eine unruhige Zeit, wir schrieben das Frühjahr 1920. Gut ein Jahr nach
dem Ersten Weltkrieg, die Lebensmittel waren sehr knapp und in der Politik
ging es unruhig zu. Im Osten war der Kapp-Putsch, der durch allgemeinen
Widerstand erledigt wurde, hauptsächlich aber der „Spartakusbund“ sorgte
für Unruhe. Auch in Nordkirchen.
Hier
stellte man eine Bürger- oder Sicherheitswehr auf, die abends und nachts
Patrouille ging. Als Bewaffnung hatten sie russische Gewehre. Es war kurz
vor Palmsonntag. Die Gesangsstunde der Concordia war zu Ende. Da sagte
Zimmermeister Theodor Voss von der Unterstraße: „Ich habe am Dienstagabend
die Wache übernommen. Mir fehlen noch vier Mann für diese Patrouille.“ „Gut“,
sagte Heine vom Pütt Erdmann, „ich bin dabei.“ Auch Anton Honermann aus der
Kaskampstraße und Theodor von der Oberstraße (Steinkuhl), sowie Anton vom
Friedhofsweg (Quante) meldeten sich zur Wache von 10 Uhr bis 12 Uhr. (...)
Als
wir uns zur zweiten Runde dem Dorf näherten, hörten wir Unruhe, eigentlich
ungewöhnlich zu dieser Zeit. Plötzlich standen ein Dutzend Männer vor uns,
Gewehre im Anschlag: „Hände hoch!“, hieß es. „Versucht keinen Widerstand,
das ganze Dorf ist besetzt.“ Zwei Maschinengewehre lagen im Anschlag. Die
Kerle hatten rote Armbinden, wir hatten weiße. Es wurde noch diskutiert,
wir seien ja nur eine Arbeiterwehr, das ließen sie aber nicht gelten. Wir
hätten die falschen Armbinden. Mittlerweile kam noch ein Trupp und klopfte
bei Theodor Steinkuhl energisch an die Haustür. „Halt“, rief Theodor, „was
wollen Sie? Ich bin hier!“ Der Trupp kam auf uns zu, voran ein Hauptmann,
neben ihm unser Dorfpolizist Anton Dunkel, den sie schon aus dem Bett
geholt hatten. Der Hauptmann schnauzte seine Leute an: „Was, habt ihr den
Kerls die Gewehre noch nicht abgenommen?“ Wir fragten ihn, ob er dazu
berechtigt sei und ob er einen Ausweis hätte. „Wir brauchen keinen
Ausweis“, schnauzte er, „dies ist unser Ausweis“, und klopfte auf sein
Gewehr.
Da
sagte unser Dorfpolizist: „Gebt sie ab, wir wollen kein Blut vergießen.“
Wir einigten uns, die Gewehre am Wachlokal abzugeben. Auf dem Marktplatz
stand eine ganze Kompanie und wartete auf Befehle. Sie hatten schon das
ganze Dorf nach unserer Patrouille abgesucht und wollten nun Waffen suchen.
Nach vielem Reden sahen sie aber davon ab und warteten bis zum anderen
Morgen.
Am
anderen Morgen ging einer mit der Schelle durchs Dorf und machte laut
bekannt: „Alle Waffen und Munition sind abzugeben. Bei Nichtbefolgung droht
Erschießung.“
Ein
Teil der Besatzung blieb im Dorf. Der größte Trupp zog in nördlicher
Richtung ab. Die Verbliebenen besorgten sich ihre Verpflegung durch
Beschlagnahmen. Einen Tag später kam von Norden die Noskengarde
(Reichswehr). Noske war 1919/1920 erster Reichswehrminister. Als diese
eintrafen, verduftete sich Spartakus schneller als er gekommen war. In der
Nähe der Lippe gab es Zusammenstöße.
Am
Karfreitagmorgen, wir waren mit der Prozession auf dem Friedhof, da hörte
man aus der Ferne Maschinengewehrfeuer und dazwischen Kanonendonner. An den
Ostertagen lag die Akademische Wehr im Quartier, freiwillige Studenten, die
aber bald in südlicher Richtung weiterzogen. Nach kurzer Zeit war der ganze
Spuk verflogen.
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